Heute fahren wir zurück nach Nairobi. Das Hotel City Blue war günstig. Mein Zimmer hatte einmal mehr eine schöne Aussicht auf die Inselstadt Mombasa und den Indischen Ozean. Die geräumigen klimatisierten Zimmer und Suiten sind alle mit Sat-TV, einer Minibar sowie einem eigenen Bad mit einer Dusche. Europäischer Standard, ein typisches Touristenhotel.
Ich sitze beim Frühstück und beobachte. Im Hotel wird alles in allem ein europäisches Frühstücksbuffet geboten, wie wir es von zuhause kennen. Im muslimischen Mombasa gibt es keine Spiegeleier mit Bacon und auch keine britischen Pork Sausages, keine Wurst oder Schinken, zumindest nicht hier. Wie immer finde ich auch hier ein freundliches Personal.
Der eingeschaltete Fernseher nervt. Gezeigt wird eine stupide amerikanische Versteckte-Kamera-Show, unterlegt mit lautem, eingespieltem, kreischenden Gelächter aus der Konserve. Die jungen Kenianerinnen und Kenianer, die gelangweilt rumstehen, weil ich im Moment der einzige Gast im Frühstücksraum bin, schauen sich den US Slapstick Import gelangweilt an. Die Szenen zeigen freundliche Polizisten, die alles Mögliche versuchen, um Leuten aus einem Auto zu helfen, das über eine Fernbedienung gesteuert wird. Ich bin noch der erste Gast. Ich frage höflich, ob man das abstellen kann.
Was mögen diese Menschen von uns denken, deren Lachen dann am schönsten und ehrlichsten ist, wenn man sie begrüßt, mit ihnen spricht, sie beachtet? Sie kennen meistens nur Polizisten, die sie auf ihrem Weg zur Arbeit und zurück anhalten und sie wegen Kleinigkeiten verwarnen, um sich dann ein paar Shilling Bestechungsgeld zustecken lassen. Ein Gehalt von 200 Euro im Monat ist auch für die Staatsdiener in Uniform zu wenig zum Leben und zuviel zum Sterben. Meine Begleiter haben das ironisch „Steuern bezahlen auf Kenianisch“ genannt. Wir in den großen Autos bleiben unbehelligt, besonders wenn man als Weißer in Begleitung von Keniaern unterwegs ist. Hier befürchtet man massiven Ärger. Kleine Leute gehen dem aus dem Weg.
Langsam füllt sich der Speisesaal. Ich sehe verwöhnte europäische und amerikanische Touristen, aber auch Afrikaner aus dem gehobenen Mittelstand, wie sie ihre Teller am Buffet vollschaufeln. Die Kellner räumen die nicht verzehrten Reste ab und müssen sie wegwerfen. Was müssen die Menschen, die hier im „Service“ und in der Küche arbeiten, von uns denken, wenn sie mit einem Gehalt, das noch niedriger ist, als das von Polizisten oder auch Lehrern, ihre Familien ernähren müssen?
Ich sehe alte, weiße Männer, älter als ich, in Gesellschaft junger, hübscher Mädchen, die mit ihnen die Nacht verbracht haben. Die Pärchen kommen Händchen haltend die an die Tische, oder er geht voraus und sie folgt. Sie hoffen, zusammen mit den „alten Säcken“ in unsere Wohlstandsländer zu entkommen, weil sie hier in Kenia keine Perspektive haben. Auch mir hat hier im Hotel eine junge Frau eine Massage mit „Happy ending“ angeboten, aber ich habe ja schon genug zu tun mit Fremdschämen für die alten Säcke und ihr unterirdisches moralisches Niveau.
Die am stärksten wachsende Volkswirtschaft in Ostafrika hat die höchste Jugendarbeitslosigkeit in der Region – über 20 Prozent. Korruption und Prostitution sind aus unserer Sicht moralisch verwerflich. Für die jungen Afrikaner sind es Versuche, der Armutsfalle zu entkommen.
Auf meiner Reise hatte ich viele Gelegenheiten, mit jungen Menschen zu sprechen, die einen guten Bildungsabschluss haben, aber für die es danach nicht weitergeht. Auch Überqualifikation ist ein Problem, das gerade die kenianische „Generation Aufbruch“ betrifft. Hochqualifiziert wie sie sind, mit Berufs- und Universitätsabschlüssen, sitzen sie auf Bodabodas, stellen Holzkohle her, betreiben irgendein Kleingewerbe, das sie über die Runden bringt, züchten Tomaten und schreiben Hunderte von Bewerbungen, bis sie am Ende aufgeben, weil es für sie keine Jobs gibt. Bildung ist eine Sackgasse, wenn talentierte, junge Leute nicht weiterkommen.
Wer wundert sich, dass es in Kenia einen riesigen Aderlass an jungen Leuten gibt, die in Europa oder Amerika ihre Zukunft sehen? Die Besten, die Zielstrebigsten, die Talentierten verlassen das Land, um von hier aus ihre große Familie zu unterstützen.
Aus Amerika und Europa schicken sie dann alles Geld nach Hause, das sie erübrigen können. Mein Freund Abdi behauptet: Nach dem Landwirtschaftssektor tragen die sogenannten Diaspora Kenianer am zweitmeisten zum Bruttosozialprodukt bei. Ihr Beitrag werde statitisch gar nicht richtig erfasst.
Leute der jungen Generation wie Abdi oder Osama, die sich in den kenianischen Mittelstand hochgearbeitet haben, sind die eigentliche dynamische Kraft, die Kenia braucht. Mein Schwiegersohn KIKO will von Deutschland aus sein Land unterstützen. Sie wollen nicht eine weitere Industrienation nach deutschem oder europäischem Vorbild werden, sondern sich aus sich selbst heraus entwickeln. Hilfe von außen ist ihnen willkommen, aber sie brauchen keine Bevormundung.
Es ist Zeit aufzubrechen. Der Shuttle Bus zum Moi Flughafen Mombasa wartet. Osama wollte uns dorthin bringen, Inshallah, wenn Gott es will, hat er gestern Abend noch gesagt. Aber Allah wollte nicht, weil Osamas Geschäft ihn heute braucht. Er und Abdi waren bis hierhin die besten Fremdenführer, die man sich vorstellen kann. Sie haben mir Einblick gegeben in die Welt der Armen und Reichen, mir Zugang verschafft zu den Hütten und Palästen. Sie waren meine Dolmetscher und Bodyguards, waren Chauffeure und Berater in Essens- und Verhaltensfragen und Organisatoren einer Reise in das wirkliche Kenia. In Mombasa trennen sich unsere Wege, und ich würde mich freuen sie einmal wiederzusehen. Aber wir müssen weiter nach Nairobi, wo noch ein paar Termine auf uns warten.
Geschrieben am 30.01.2023


