Auf die Insel

Guten Morgen Mombasa. Die alte Hafenstadt erwacht und der Tag begrüßt mich mit einem wunderschönen Sonnenaufgang. Der Muezin hat über einen Lautsprecher zum Morgengebet gerufen. 70 Prozent der Bevölkerung an der Kenianischen Küste sind Muslime. Das Pflichtgebet der Muslime erklingt bei  Sonnenaufgang zusammen mit dem schrägen Gesang der Krähen und den Rufen der Fischer, die mit ihren Booten ausfahren.

Heute fahren wir nach Wasini. Wasini ist eine Insel, die 3 Kilometer weg vom Festland liegt. Der Name bedeutet „Chinesen“. Der vollständige Name „Wasini mpunguti“ heißt übersetzt: „die kleinen Chinesen“. Die ersten Siedler waren Chinesen , die noch vor dem 1. Jahrhundert nach Christus hier an Land gegangen sind.

Osama hat diesen Ausflug auf afrikanische Art organisiert. Er hat einfach seinen alten Freund Salim angerufen und gesagt, dass wir kommen. Osama hat einmal ein paar Wochen auf Wasini gewohnt und hat hier viele gute Bekannte. Die Insel liegt am südlichsten Landeszipfel Kenias, direkt an der Grenze nach Tanzania.  Auf dem Programm stehen Delfine beobachten, Schnorcheln im Riff, Schwimmen im Indischen Ozean und Mittagessen auf der Insel.

Osama holt uns mit seinem Privatwagen ab und bringt uns zum Hafen, wo wir mit der Fähre nach Likoni übersetzen. Unzählige Menschen strömen in die Inselstadt. Ich erlebe den Berufsverkehr in Mombasa. Aus der Stadt heraus wollen deutlich weniger Menschen als hinein. Wir fahren auf der A14, die 145 Kilometer weiter an der Grenze von Tanzania endet. Sie ist eine internationale Straße und für kenianische Verhältnisse gut ausgebaut. Aber mit einer Autobahn wie wir sie kennen,  hat sie wenig gemeinsam. Wie überall im Land gilt hier außerorts Tempo 100 und in Ortschaften 60 kmh. Aber ich habe auf unserer Fahrt berechtigte Zweifel, ob sich da irgendjemand daran hält.

Die einzige Regel, die hier bedingt gilt, ist der Linksverkehr. Ganze Armeen aus Tucktucks,  Bodabodas und Kleinbussen kommen unserer Schlange aus PKWs und Lastwagen entgegen. Sie alle wollen nach Mombasa. Fußgänger passen die wenigen Lücken ab, bevor sie ohne Hektik die Straße passieren. Dazwischen Radfahrer, die ihre alten, rostigen Räder bepackt haben mit allerhand Waren, die sie an ihren wackeligen Straßenständen anbieten. Kühe wandern unbeeindruckt von diesem gigantischen Chaos von Abfallhaufen zu Abfallhaufen, die sie nach Verwertbarem durchwühlen.

Unser Reisetempo pulsiert zwischen Schrittempo und Höchstgeschwindigkeit. Osamas Auto ist getunt. Wenn er die 340 PS abruft, werde ich in den  Beifahrersitz gedrückt, wenn er bremst, stemme ich mich mit den Beinen gegen den Fahrzeugboden.

Osama sagt: in Mombasa gibt es keinen Stau! Der Verkehr hier rollt. Am Straßenrand hält ein Reisebus und lässt eine Gruppe Touristen aussteigen. Der Slogan des Unternehmens: Africa – Memories you never forget! Die Autofahrt nach Wasini werde ich ganz sicher in Erinnerung behalten.

Nach fast zwei Stunden Fahrt erreichen wir unser Ziel. Hier liegt vertäut zusammen  mit anderen Booten die Dhau, mit der wir auf das offene Meer hinaus fahren sollen. Selim hat uns schon erwartet. Wir fahren auf einen von Soldaten bewachten Parkplatz mit ein paar aus Stein  gebauten Häuschen, einer Art Besucherzentrum, wo man sich Tickets für die Bootausfluge kaufen kann und wo es eine Posterausstellung über die zu erwartenden Meerestiere gibt. Beim Ticketkauf müssen wir unsere Ausweise vorlegen. Ich halte diese Kontrollen für übertrieben, aber Osama erklärt mir den Grund.

Seitdem in der Vergangenheit die radikal islamische somalische Terrororganisation al-Shabaab touristische Ziele und Hotels und auch Einkaufszentren ins Visier genommen haben, gelten hier strenge Sicherheitsvorschriften. Der letzte weltweit bekannt gewordene Terroranschlag auf die Westgate Shopping Mall in Nairobi im September 2013 hat über 60 Todesopfer gekostet. Seitdem werden auch Hotels, Bahnhöfe und Museen streng bewacht und Gäste müssen sich Sicherheitskontrollen wie an internationalen Flughäfen unterziehen.

Wir sind die ersten, die auf die Dhaus dürfen. Auf Anraten von Selim nehmen wir im Heck des etwa 12 Meter langen Schiffes Platz. Dhaus, das sind die traditionellen kleinen einmastigen Segelschiffe, wie sie überall am Indischen Ozean zuhause sind. Ihren Ursprung haben sie vermutlich in indischen hochseetauglichen Kleinseglern. Das typische Dreieckssegel liegt zusammengerollt und verzurrt über dem Schiffsraum. Im vorderen Teil schützt eine darüber gespannte Gewebeplane die Passagiere vor der brennenden Sonne.

Der Ausflug zu den Delphinen und in das Korallenriff ist nicht besonders spektakulär. Nur zwei der Kleinwale lassen sich blicken. Und im Riff klappt das mit dem Schnorcheln bei mir nicht so richtig. Das hätte ich besser vorher mal geübt. Nach einer kurzen Badepause auf einer Sandbank geht es zurück zur Insel, wo das Mittagsessen auf uns wartet. Es ist ein kräftiger Wind aufgekommen und wir haben hohen Seegang. Unser Ausflug wird zur Achterbahnfahrt. Das kleine Schiff wird besonnen vom Kapitän durch die Wellenberge gesteuert. Vereinzelte Wellen brechen an der Bordwand und die Gischt schlägt über Bord. Kinder geraten in Panik und schreien, wenn das Boot von einem Wellenberg in ein Wellental stürzt. Die Passagiere im Bereich des Bugs sind völlig durchnässt. Unsere Dhau heißt „Taqwa“, übersetzt: „Wir sind in Gottes Hand“. Ein Name wie ein Programm, denke ich und sehe auch eine Parallele zu Osamas Hinfahrt nach Wasini und sein oft zitiertes „In schā‘ Allāh“ oder zu deutsch: „So Gott will“. Anderen Mitpassagieren wird bei dem hohen Wellengang übel. Erst als wir in den Windschatten der Insel einfahren, beruhigt sich die Wasseroberfläche wieder etwas und mit ihr die Kinder an Bord.

Vor der Insel Wasini geht die Dhau vor Anker. Für die letzten 50 Meter müssen wir auf Boote umsteigen, die uns an Land bringen. Unser Kahn hat einen zerbrochenen Zwischenboden. Man muss aufpassen, dass man nicht auf den faulen Planken durchbricht und sich verletzt. Die letzten Meter zum Ufer waten wir über Geröll und hervorstehende Steine.

Das Essen nehmen wir zusammen mit den Passagieren anderer Touristenboote unter einem überdachten Platz ein. Alles ist wie immer in Afrika „improvisiert“. Auf alten Plastikstühlen und Holzbänken sitzend essen ich und meine Freunde Fisch und Schalentiere, frisch gefangen und zubereitet von den Inselbewohnern, die keine Touris auf´s Meer hinaus gefahren haben. Gegessen wird wie immer mit den Händen, die man vorher und nachher mit Flüssigseife und Wasser aus einem großen Plastikkanister gewaschen hat. Die deutschen Behörden bekämen angesichts der hygienischen Standards in diesem Inselrestaurant eher Haarausfall als graue Haare. Aber ich denke an meinen eisernen Grundsatz: “ Cook it, boil it, peel it or forget it!“ und der erklärt die leckeren Meeresfrüchte alle für genießbar.

Für die Inselkinder habe ich für ein paar kenianische Shilling Schreibhefte und Buntstifte mitgebracht, die ich verteile. Daran mangelt es allen Kindern in den armen Gegenden Afrikas. Was ich nicht verteilen kann, gebe ich Kapitän Selim, der die Sachen auch an andere Inselkinder weitergeben wird und der mir von den Problemen der Inselkinder berichtet. Auf Wasini gibt es nur einen Kindergarten. Zur Schule müssen die Kinder auf das Festland gebracht werden, wo sie noch einen weiten Fußweg vor sich haben. Wer eine weiterführende Schule besuchen will, für den fallen dann noch Kosten für ein Internat an. Wie überall in Kenia ist es die größte finanzielle Last der Eltern, das Schulgeld aufzubringen.

Die Einnahmen aus dem Touristengeschäft werden untereinander geteilt und helfen den Eltern dabei, ihre Kinder durchzubringen, denn die sind schließlich ihre Alterssicherung. Der Rest geht für Arztrechnungen und Lebenshaltung drauf. Geld für einen eigenen Landesteg haben sie nicht. Das würde ihnen zwar helfen, mehr Touristen anzuziehen. Aber sie haben wichtigere Sorgen. Die Insel hat kein Trinkwasser. Es seien zwar Tiefenbohrungen gemacht worden, aber der Salzgehalt dieses Wassers sei zu hoch. Deshalb müssen sie Wasser und alles was sie zum Leben auf der Insel brauchen vom Festland aus auf ihren kleinen Booten herbeischaffen. Einmal mehr fahre ich mit der Erkenntnis nach Hause: Es gibt viel zu tun in Kenia, in ganz Afrika! Und wieder denke ich an die Legende vom Kolibri, die ich am Anfang meines Keniatagebuchs nacherzählt habe.

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